Heilung geschieht in Schichten
Wer kennt es nicht, diesen Schmerz, diese Wunden, von denen wir glauben, dass wir sie längst geheilt und hinter uns gelassen haben und dann BAM kommen sie mit einer solchen, herben Gewalt zurück, das sämtliche Grundmauern des eigenen Verständnisses zum Beben gebracht werden.
Es heißt, das Leben mutet uns nicht mehr zu, als wir tragen können und trotzdem enden Leben unter ihrer Last. Aber du bist noch hier. Genauso wie ich. Aber wie viele Male?
Als mich meine tiefste Dunkelheit verlassen hat, lange nachdem ich dachte, sie nicht mehr tragen zu können, war da so viel Leichtigkeit, eine so tiefe Dankbarkeit, Freude und Zufriedenheit für alles das passiert war, aber vor allem für das, was jetzt ist.
Die Angst im Glück
Mein Glück ist gewachsen und gewachsen.
Hier und da gab es weiterhin Herausforderungen, mal Wut, mal Erschöpfung, mal Trauer – kleine Eintagsfliegen aus Schattenstoff, die meinen Leben einfach ein kleines bisschen in lebendiger Form hielten, ohne zu sehr an mir zu rütteln.
Aber dann war da diese Begegnung, diese Kette an Begegnungen mit einem Traum, den ich schon solange in mir trug – mein größtes bisheriges Glück.
Kaum begann dieser Traum wahr zu werden, explodierten die Eintagsfliegen zu Schattenmonstern, die sämtliche vergangene Erinnerungen an Schmerz in sich trugen.
Nach jeder süßen Begegnung, folgte die Angst. Denn etwas Süßes, das blieb und nicht mit Schmerz beglichen werden musste, kannte mein Körper nicht.
Und obwohl mich die letzten Monate davon überzeugt hatten, das Glück beständig sein kann und dass es auch nie zu viel Glück um wahr Zusein gibt, war die alte Angst in meinen Zellen zu stark, um das endgültig zu glauben. Positive Realitätschecks und Logik machten da keinen Unterschied.
Als ich also so viel Freude erfuhr, begann ein Schatten nachdem anderen seine Bühne und Chancen zu suchen, um sich empor zu werfen und mich daran zu erinnern, welchen Preis für Mut und das Mich-Öffnen und Mich-Einlassen, ich bereits gezahlt habe.
Verletzlichkeit und Schmerz
Neben der Angst, dass meine Vergangenheit jetzt wieder aufleben würde (und wie sollte ich das noch einmal ertragen – unmöglich), war da auch die Angst vor Enttäuschung. Ich war doch geheilt. Wie beschämend zu behaupten, ich wäre heil, wenn da plötzlich doch noch so viel Panik ist. Oder?
Verletzlichkeit und Schmerz sind niemals beschämend… wir haben es nur anders gelernt. Verletzlichkeit und Schmerz sind auch nicht unsere Feinde, sondern vielmehr Verbündete, die uns unsere Grenzen und Bedürfnisse aufzeigen und sie zu wahren versuchen. Wenn sie uns aber gegen etwas Vergangenes schützen wollen, das jetzt nicht mehr mit der Realität kongruent ist, was dann?
Bauchgefühle die Mut machen
Zwischen dem Bangen und der Furcht, waren da diese Sätze, die durch meinen Bauch schwirrten und mir Mut machten:
„Gib deiner Vergangenheit Raum.
Spüre noch einmal die Gefühle.
Anerkenne, was du erlebt und ertragen hast.
All das zeigt sich jetzt noch einmal, weil dein Trauma jetzt bereit ist zu heilen. Weil du und dein Umfeld jetzt stark genug sind, um diese Wunden aufzulösen und einen neuen, freudvollen Weg zu gehen.
Gib dem Schmerz und der Angst Raum. Denn wenn wir dem Raum geben, was Raum sucht, dann ist statt Verdrängung Veränderung möglich.“
Ich habe also all die Angst durch mich fließen lassen.
Sie ausgesprochen.
Sie gehört.
Und sie in mein Herz gelassen.
Ich habe begriffen, dass die Panik meine Freundin ist und doch ich selbst die Weisheit und Kraft bin, um der Angst ihre Furcht zu nehmen. Ich habe mich der Möglichkeit gestellt, dass sich meine Vergangenheit wiederholt, mit der Bereitschaft und Überzeugung, dass aber auch genau das Gegenteil möglich ist.
Ein Geschenk des Lebens
Als Geschenk hat mich das Leben geküsst, die nächste Begegnung hat die Angst mit sanften Worten und Gesten zur Ruhe gebracht und jeder Zelle in meinem Körper gezeigt, dass es jetzt gut ist, dass es jetzt anders ist, dass da jetzt Freude ist.
Ein paar Wochen lang bin ich diesen Zyklus mit verschieden altem Traumen durchlaufen und jedes Mal wurde das nächste Trauma liebevoll gelöst und als vergangen verabschiedet. Heilung geschieht in Schichten, das Vor und Zurück, sind Wogen des Lebens in einem Fluss, der trotz seiner Bewegung immer in Richtung Meer, immer in Richtung Ganz- und Heilsein fließt. Davon bin ich heute überzeugt.